Offline Experimente: Einführung

In diesem Post beschreibe ich, was diesen ganzen Blog ins Leben gerufen hat.

Ich werde erläutern, warum ich seit Anfang Februar 2024 jedes Wochenende offline bin, nachdem ich knapp 20 Jahre jeden Tag online war und im Schnitt 8 Stunden am Tag vor dem Bildschirm verbracht habe.

Gleichzeitig möchte ich dich dazu ermutigen, deine eigenen Offline Experimente zu machen.

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Blog
Fotograf: Stefan B.

Die Grundfrage: Was tun mit meiner Zeit?

Das Leben ist lang.

Glaub ich zumindest. Nur in Relation oder in Rückschau scheint es mir kurz zu sein.

In der Gegenwart und mit Blick in die Zukunft, sehe ich unzählige Stunden und Tage vor mir.

Ich weiß, wie ich sie totschlagen könnte, diese Zeit, die jetzt ist und noch vor mir liegt.

Besonders mit Hilfe des Internets fällt es mir besonders leicht, Zeit hinter mich zu bringen – dorthin, wo sie kurz erscheint.

(Anmerkung: Der Blog und dieser Artikel hier sollen kein stumpfes „Internet ist doof“-Bild malen. Für ein ausdrücklich positiven Blick auf die digitale Welt hier ein Artikel voller Wertschätzung.)

Das Internet: Ich kann mich unterhalten lassen, busy sein, viel arbeiten, mich von einem unterhaltsamen Inhalt zum Nächsten hangeln, mich wahllos von Algorithmen füttern lassen, Inhalte im Vor- und Hintergrund dahinplätschern lassen … und meine Zeit wart nicht mehr gesehen.

Mir offenbarte sich ein Grundproblem: Ich verbringe meine Zeit (besonders meine „freie“ Zeit) auf unbefriedigende Art und Weise.

Denn obengenannte Time-Killer hinterlassen mich nur selten befriedigt und inspiriert.

Meist fühle ich mich schwer, ausgelaugt und schal, nachdem ich Zeit totschlug. Ganz egal, ob mit „produktiven“ oder „faulen“ Tätigkeiten.

Die Grundfrage des gesamten Blogs baute sich also langsam, aber mit aller Macht in mir auf:

Was möchte ich mit meiner Zeit tun?

(Im Englischen noch etwas treffender: „What is time well-spent”?)

Zutaten für eine gute Zeit

„Aber was hat denn jetzt offline zu sein damit zu tun, wie man seine Zeit gut verbringt?“ fragt sich bestimmt der ein oder andere Mensch, dem dieser Zusammenhang arbiträr erscheint.

Absicht vs. Wahllosigkeit

Ich glaube, dass gute Zeit einen Mix aus Absicht und Beweglichkeit benötigt.

Das heißt: „Ich möchte genau DAS tun!“ + „Ich akzeptiere, dass es anders werden kann“.

Im Internet ist es ungeheuerlich schwer eine Absicht zu bewahren. Irgendetwas möchte immer meine Aufmerksamkeit. Und wenn ich nicht aufpasse, springe ich von einer Attraktion zur Nächsten, so wie ein junger Hund jedem Stöckchen hinterherrennt.

Auf gewisse Art und Weise bin ich dann sehr beweglich. Ich lasse mich darauf ein, was das Gerät, der Algorithmus (und meine Gewohnheiten) mir auftischen.

Die Absicht geht dabei vollkommen flöten.

Vom Tourguide des Internets werde ich an die Hand genommen: Auf der rechten Seite sehen Sie eine Folge Ihrer Lieblingsserie, auf der linken Seite sehen Sie eine Nachricht Ihrer Geliebten, vor Ihnen sehen Sie den Wetterbericht, hinter sich sehen Sie Ihre Arbeitsemails, über Ihnen sehen Sie die News, unter Ihnen sehen Sie ein paar lustige Memes, schrägrechts von Ihnen sehen Sie ein tiefgründiges Zitat, schräg unten links sehen Sie welcher beliebte Musiker heute gestorben ist, in einem 45 Grad Winkel über Ihnen sehen die Urlaubsfotos Ihrer Cousine im Familien-Gruppenchat, und überall um sich herum sehen Sie unsere beste Werbung.

Und so ging der Abend dahin, und wart nicht mehr gesehen.

Ganz langsam, über Jahre hinweg, hat sich dann die nächste Frage in mir gebildet: Was passiert, wenn ich offline gehe? Und dadurch radikal den Internet-Jahrmarkt verlasse?

Offline Sein: Extreme & Panik

Als ich vor einigen Jahren das Dauer-Online-Sein als eine mögliche Quelle meines Unwohlseins ausgemacht hatte, ging mein erster Impuls ins Extrem: Laptop aus dem Fenster schmeißen! Und den Router gleich hinterher!

… mein Charakter neigt nun mal zum Extremen. Also schien mir diese Lösung lange, wenn auch nur in meiner Fantasie, sehr attraktiv.

Dass es etwas tricky werden würde, war mir allerdings auch klar. Eine Website-Agentur zu führen und gleichzeitig vollständig offline zu leben, ist, vielleicht, naja, doch, ein kleines bisschen … bescheuert.

Drum musste ein Experiment her!

Das erste Mal offline

Im November 2022 war ich eine Woche lang kategorisch offline.

Das Setting: Ich lebte zu dieser Zeit in Ulm, arbeitete sehr viel und war jeden Tag viele Stunden online, auch am Wochenende. Um meine Offline-Woche durchzuziehen, war mir klar, dass ich es nicht in meinem gewohnten Umfeld schaffen würde. Also bin ich eine Woche nach Berlin zu Freunden gefahren. Ohne Laptop. Ohne iPad. Mein einziges, digitales Gerät war mein altes Flip-Phone. SMS und Anrufe waren erlaubt.

Es war herrlich.

Niemand wollte irgendwas von mir.

Meine Zeit verbrachte ich mit Lesen (2einhalb Bücher), Zeit mit Freunden, an die Decke gucken, Schlafen und ein bisschen Langeweile.

Und was hat die Langeweile ausgelöst? Energie! Aus gänzlich freien Stücken (einfach nur aus Bock!) habe ich die Bude meines Kumpels in aller Ruhe geputzt. Und es war wunderbar befriedigend.

Warum war das so? Ich war schlichtweg nicht mehr paralysiert von einem ständigen, verführerischen Sing-Sang in mir: „Ich könnte jetzt mal Telegram checken“ und „Ich könnte jetzt mal meine Mails checken“ und „Ich könnte mal schauen, was auf YouTube geht“ oder „Ich könnte die eine Task noch eben erledigen“, etc.

Nichts „saß mir im Nacken“. Nichts hat um meine Aufmerksamkeit gebuhlt.

Herrlich.

Und dann, wie das so ist, war ich zurück in meinem Alltag – und es dauerte über ein Jahr bis zum zweiten Experiment.

Experiment 2:
Shit is getting real(-ly offline)

Dezember 2023. Ein intensives Jahr geht zu Ende.

Ein Jahr, in dem ich mal wieder unzählige Stunden vor dem Laptop saß.

Mit Ehrfurcht und Muffe habe ich mich dann getraut folgenden Entschluss zu treffen: Ich werde meinen Weihnachtsurlaub offline verbringen.

Drei volle Wochen ohne meinen Laptop. Leckomio!

Eine Woche in Ulm bei meiner Familie und danach direkt nach Newcastle zu guten Freunden für zwei weitere Wochen.

Das einzige Gerät in meinem Gepäck: Mein „Dumb Phone“ (auch Feature Phone genannt), das Nokia Flip Phone. SMS und Anrufe waren, wie bei Experiment 1, erlaubt.

Der Ehrlichkeit halber möchte ich hier erwähnen, dass ich in der Zeit in Newcastle mit meinen Freunden viele Videospiele gezockt habe (unser größtes gemeinsames Hobby). Ich war also, wenn man es ganz genau nimmt, nicht wirklich offline-offline.

Allerdings war mir das relativ mumpe, denn mein Hauptziel war es mein normales Online- und Digitalverhalten zu unterbrechen. Und das ist mir vollkommen gelungen.

Keine Mails, kein Telegram, kein Projektmanagement, keine YouTube-Videos (außer mal gemeinsam mit meinen Freunden), kein Spotify. Einfach nix, wie im Alltag.

Und wie war das zweite Experiment?

Na klar: herrrrlich.

Man, war ich … langsam. Man, war ich gemütlich. Man, war ich da.

Und man… Hat das fucking wehgetan, andere Menschen zu sehen, wie ihre Aufmerksamkeiten Bing!Bing!Bing! von ihren Geräten verschlungen wird … und sie waren nicht mehr gesehen.

Nach den 3 Wochen war für mich klar, dass es mir nicht reicht einmal pro Jahr für längere Zeit am Stück offline zu sein.

Kurze Zeit später war für mich klar: Experiment 3 steht an.

Experiment 3:
On and off (and On and Off again!)

Februar 2024. Ursprünglich war der Rahmen des Experimentes, dass ich für 4 Wochen lang jedes Wochenende offline gehe. Also von spätestens Freitagabend bis mindestens Montagfrüh.

Der große Unterschied zu den bisherigen Offlineforschungen: Ich bin in meinem gewohnten Umfeld. Mein Laptop ist jederzeit griffbereit.

Als der Entschluss stand, dass es am kommenden Wochenende losgehen wird, baute sich in den Tagen davor ein ständig wachsender Widerstand in mir auf (trotz dessen, dass ich die Offline-Urlaube so genossen hatte!).

Mir kam die Idee bescheuert vor: Warum mache ich mir das Leben unnötig schwer? Ich werde mich nur fürchterlich langweilen! Das ist jetzt nur wieder mal so eine komische Selbstoptimierungs-Challenge!

Besonders vor den Abenden und der Nacht hatte ich Sorge. Die Tage würde ich schon irgendwie mit Aktivitäten rumbringen. Aber abends, da bin ich müde. Da „belohne“ ich mich normalerweise mit rumlümmeln und Laptop-Zeit. Und was ist, wenn ich im Bett liege und nicht schlafen kann? Und zu müde bin, um zu lesen? Dann liege ich Stunden lang rum und es gibt keinen Ausweg!

Niedergeschrieben könnte das für den ein oder anderen vielleicht lächerlich klingen. Oder übertrieben. Aber ey, verbring mal nen Wochenende offline, an dem du die Abende alleine mit dir verbringst. Das ist, glaube ich, für viele Menschen extrem konfrontativ.

Was mache ich eigentlich, wenn ich nicht unterhalten werde?

Was fühle ich, wenn ich mich nicht ablenken kann?

Experiment = Lebensart

Nach den ersten 1-2 Wochenenden war mir klar: Das Experiment wird nicht nach 4 Wochen schon wieder aufhören.

Mir wurde auch klar, dass das Thema so reich für mich ist, dass ich darüber schreiben muss (daher dieser Blog!).

Aber warum bin ich zum begeisternden Offliner geworden? Der sich die Nummer jedes Wochenende gibt?!

An den Offline-Wochenende bin ich so wunderbar langsam. Ich konnte überhaupt erst erkennen, wie schnell (selbst ohne Smartphone!) mein Leben ist. In was für einer Dauer-Stress-Frequenz ich mich eigentlich befinde. Sogar der Fakt, dass ich meine Arbeitszeit seit 2023 um die Hälfte reduziert habe, hat daran nur teilweise etwas geändert.

Denn das Phänomen des Online-Lebens ist folgendes: irgendwas oder irgendwer will immer meine Aufmerksamkeit. Und wenn es konkret nicht der Fall ist, dann könnte es aber jeder Moment eintreten. Und das löst in mir ein dauerhaftes Surren aus. Ein nie-ganz-zur-Ruhe-kommen. Ein immer-auf-Empfang-sein. Ein Angekettet-Sein, dass sich als Verbunden-Sein tarnt.

Mein Punkt ist nicht, dass es digital keine wahrhaftigen Verbindungen und Beziehungen gibt. Allerdings scheint mir, dass sich viele Menschen so fühlen, als würden sie vor Unverbundenheit (bzw. Einsamkeit) verrecken, wenn mal für ein paar Tage das Internet ausfallen sollte.

Und dazu sage ich: Freunde! Vor 20 Jahren war das Internet für die meisten noch brandneu und alles anderes als selbstverständlich. Und bis etwa 2010 hatte auch nicht jede Fritte ein Smartphone in der Tasche. UND WIR SIND WUNDERBAR KLARGEKOMMEN!

Dieser Blog ist ein Plädoyer für die Rückbesinnung an die Einfachheit des Lebens. An die Fülle, die einfach DA IST. Ohne jedes Gerät. Ohne jede Unterhaltung. Und ohne jede Ablenkung. Wir brauchen nicht mehr, nicht größer und nicht schneller.

Es ist bereits alles da.

Ich bin jedes Wochenende offline und bleibe dabei. Einen Weg zurück in ein Dauer-Online-Leben gibt es für mich nicht mehr.

Erkenntnisse

Nach etwa 15 Offline-Wochenende sind mir ein paar Dinge klargeworden.

Vorstellung ist nicht Realität

Essen ohne ein Video zu gucken. Unmöglich!

Einen ganzen Tag alleine ohne Bildschirm verbringen. Wie soll denn das gehen?!

Das ganze Wochenende ohne Emails und Nachrichten. Die Einsamkeit wird mich verschlingen!

… diese Gedanken und Gefühle suchen mich immer vor der Offline-Zeit heim. Auch nach fast 4 Monaten ist der Cut am Freitagnachmittag immer wieder eine Überwindung.

Besonders, wenn ich am Wochenende nicht verabredet bin und mir lange Strecken des Alleine-Seins bevorstehen.

Das Unwohlsein davor ist diffus, nicht zu greifen und schlichtweg unlogisch. Aber dennoch stark, wie ein Türsteher, der mich nicht in den Offline-Club reinlassen will!

Und wie ist das Wochenende dann tatsächlich? Meistens total in Ordnung. Oft sogar angenehm. Immer wieder herrlich.

Der Worst-Case ist, dass ich mal 1-2 Stunden nicht so genau weiß, was ich machen soll und mich etwas langweile. Buu-huu!

Tor in eine andere Realität

Ich erlebe offline vor allem eins: Langsamkeit und Einfachheit.

Die Momente werden länger. Meine Grundstimmung ist ruhiger.

Warum setze ich mich nicht mal 10 Minuten auf eine Bank, die mich anlacht? Einfach so, ohne Grund, ohne Absicht, ohne Eile. Und wenn aus 10 Minuten eine Stunde wird, so what?

Bin ich erschöpft, dann lege ich mich einfach mal hin. Und wenn ich schlafe, dann schlafe ich halt. Wecker braucht kein Mensch. Oder ich lasse in Ruhe meinen Blick schweifen und lausche meinen Gedanken.

Mein Gott, wie intensiv und aufregend ist es ein ganzes Album am Stück mit voller Aufmerksamkeit zu hören. Ohne skippen, ohne Auto-Play am Ende des Albums. Einfach nur einem fantastischen Werk lauschen. Herrlich.

Die Liste solcher Phänomene ist lang, die Essenz die gleiche: Ich mache scheinbar nichts Besonderes, bin dabei mit voller Aufmerksamkeit am Start und die Zeit verfliegt auf das Köstlichste.

… aus killing time, wird flying time. Der Unterschied zwischen den beiden könnte nicht größer sein.

Das Ziel: Langeweile

„Boredom is a crime“ singt Bo Burnham und nimmt dabei auf die Schippe, was wir modernen Menschen mit aller Macht verhindern wollen: auch nur für einen Moment gelangweilt zu sein.

„I just don’t know what to do with myself” singt Jack White und beschreibt damit, warum Dauer-Unterhaltung ein Muss ist = Langeweile ist brutale Konfrontation.

Ich glaube, dass vielen Menschen unbewusst klar ist: Wenn ich ohne Entertainment bin, falle ich in das tiefe Loch meiner verhungernden Seele.

Also fütter mich, fütter mich mit Content, bis ich kotze!

Hier kommt mein Gegenvorschlag: Langeweile ist wunderbar.

Langeweile tut gut!

Langeweile ist der beste Motivator – ever!

Weißt du was richtig attraktiv wirkt, wenn ich mich langweile? Lesen, Haushalt, Kochen, Schreiben, Bewegung, uvm.

Aus purer Langweile ist meine Wohnung sauber und ordentlich.

(Okay, ich steh auch einfach drauf, dass es sauber und ordentlich ist. Aber durch die Momente von Leerlauf, die Langeweile mit sich bringt, habe ich natürliche Lust meine Bude auf Vordermann zu bringen – ohne mich zwingen zu müssen!)

Umständlichkeit

Optimierung ist einer der neuen Götter unserer Zeit.

Jeder Pups des Lebens kann nicht nur, sondern muss verbessert werden. Nichts darf mehr schwierig, langwierig oder umständlich sein.

Das Internet hat dieser Entwicklung einen nie vorher dagewesenen Schub verpasst.

Alles muss zackig gehen. Damit wir mehr Zeit haben dem Ruf unseres Herzens zu folgen und dem Flüstern unserer Seele zu lauschen! …

… Okay, ich gebs ja zu. Das war gelogen. Obwohl ich mir innigst wünsche, dass es wahr wäre.

Ich glaube, dass wir geradezu manisch danach trachten alles zu optimieren, gerade weil Herz und Seele brach liegen. Ohne Verbindung zu etwas Größerem, etwas Höherem, zu Gott, ist alles, was uns bleibt, die physisch-sinnliche Welt.

Statt das zu bemerken sind wir von der Illusion befallen, dass unsere nagende Pein ein Problem auf praktischer, materieller Ebene ist. Deswegen sind Ernährung, Sport und Schlaf (um ein paar wenige Disziplinen aufzuzählen) auch so verdammt wichtig geworden. Weil wir in diesen Bereichen bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag die Illusion von Rettung vermuten können. Wenn ich nur endlich makellos esse, fit bin wie ein Sportler und jede Nacht optimal schlafe, dann muss es mir einfach besser gehen!

Wir optimieren, als ginge es um unser Leben!

In einer Welt, die zwanghaft versucht jeden Aspekt des Lebens zu verbessern, scheint es fast hinterwäldlerisch, wenn man sich die Dinge mit Absicht nicht erleichtert.

Meine Wertschätzung für Umständlichkeit wächst stetig. Hier ein paar meiner Favoriten:

  • Den Weg zu finden mit einer Karte oder Hilfe von Fremden
  • Ein Feuer zu machen, wenn es kalt ist
  • Lange SMS am Tastentelefon an einen lieben Menschen schreiben
  • Ganze Alben am Stück hören, ohne Spotify
  • Texte schreiben ohne ChatGPT

All das ist befriedigend. All das braucht Hingabe.

Und all das könnte schneller und einfacher gehen – und ohne Hingabe. Aber würde dadurch jede Befriedigung verlieren.

Aber was, wenn…?

Es gibt immer wieder Momente in der Offline-Zeit, die Online-Versuchungen bereithalten. Mir stellt sich dann die Frage: War ich wirklich am Stück offline oder habe ich gemogelt? (Zugegebener Maße nehme ich meine selbst gewählten Regeln gerne mal zu ernst.)

Freunde mit Smartphones sind für den geneigten Offliner eine besondere Herausforderung. Man fragt sich: Wie kategorisch soll ich jetzt hier mein Ding durchziehen?

In kurz: Nimms locker. Wenn dein Kumpel dir unbedingt irgendwas auf Instagram zeigen muss, wirst du vom Blick auf den Screen nicht gleich von digitalen Dämonen in die Pixelhölle gezerrt.

Hier noch ein paar Tipps aus meiner Erfahrung.

Google Maps

Google Maps ist aus dem Leben von vielen Menschen nicht mehr wegzudecken. Es ist einfach so gottverdammt praktisch und bequem!

Mein Tipp: Frag nach dem Weg!

Ich liebe es Menschen nach dem Weg zu fragen. Die Anzahl von kleinen, netten Begegnungen, die dadurch entstanden sind, häufen sich.

Meistens kennst du den Weg ja zumindest ungefähr. Als nur Mut! Ans Ziel kommst du so oder so. Aber offline klappt es wegen deiner Ortkenntnis und freundlichen Helfern – nicht durch einen Supercomputer am anderen Ende der Welt.

Funktioniert übrigens auch wunderbar, wenn du z.B. ein Café oder Restaurant in einer dir unbekannten Umgebung suchst.

(Ich befürchte, dass diese Tipps herablassend wirken könnten, weil sie so einfach sind. Ich schreibe sie dennoch, da ich schon dutzende Male auf der Suche nach einer Lokalität war und meine Begleitung reflexartig zum Handy griff. Klar findet man so auch, was man sucht. Aber die Empfehlung für das Lieblingscafé eines ortsansässigen Fremden hat einfach etwas Besonderes. Die kurzen Interaktionen wecken bei mir oft ein Lächeln, öffnen sogar manchmal mein Herz. Google Maps funktioniert einfach nur sehr gut.)

Freunde mit Smartphones

Natürlich hätte ich es am liebsten, dass alle Menschen in meinem Umfeld auch offline sind, wenn ich es bin. Sind sie aber nicht – Schock lass nach!

Ich übe mich hier in Gleichmut. Denn wenn Menschen auf eines kein Bock haben, dann für ihren Handykonsum kritisiert zu werden – besonders während sie gerade ihr Handy benutzen!

Also versuche ich es hinzunehmen, wie es ist. Mit engen Freunden äußere ich allerdings auch hin und wieder den Wunsch, ob sie z.B. das Handy für Spaziergänge zu Hause lassen würden.

Ich glaube, dass es für die Menschen, die ihr Online-/Bildschirm-/Smartphone-Verhalten ändern wollen ausreicht, wenn sie in der Gegenwart von einem Offliner sind. Tolle Argumente und kritische Kommentare bewirken hier eher eine Verhärtung im Verhalten des Gegenübers.

Mit Freunden Online Medien anschauen

Ich schaue mit einem sehr guten Freund gerne Filme und Serie zusammen an und tausche mich mit ihm darüber aus, was dieses und jenes wohl bedeuten könnte, welche Reaktionen in mir passieren und was uns eben sonst alles dazu einfällt. Ein bisschen sowas wie Hobby-Medien-Kritiker. (Zurzeit schauen wir Twin Peaks).

Natürlich ist es technically nicht erlaubt an einem Offline-Wochenende Serien zu schauen.

Gleichzeitig steht hier das gemeinsame Erlebnis für mich im Vordergrund. Zusammen Twin Peaks zu schauen, ist einfach nicht dasselbe, wie alleine Serien zu „bingen“ oder stundenlang YouTube zu glotzen.

Verrate ich mit dem Anschauen von 1-2 Folgen Twin Peaks meine Ambition und mein Experiment? Ich glaube nicht.

Mal eben was nachschauen

Wer war der eine Schauspieler in Platoon nochmal? Wie heißt dieser Song von Depeche Mode noch gleich? Wie groß waren eigentlich Mammuts? Wie lautet dieses eine geniale Zitat von C.G. Jung denn bloß?

Die Antworten, wie wir alle wissen, sind nur ein paar Klicks und Sekunden weit entfernt.

Meine Herangehensweise: Einfach mal nicht wissen. Stattdessen auf der Frage kauen, ein wenig verrückt werden, die Frage vergessen, voll Befriedigung auf die Antwort stoßen, jemand im echten Leben fragen.

Nicht jedem Impuls lohnt es zu folgen.

Meine Spielregeln

Abschließend noch mein selbst erfundenes Regelwerk.

Die Regeln sollen konkret genug zu sein, damit ich mich nicht ständig fragen muss, ob dieses oder jenes noch im Spirit des Experimentes liegt oder nicht. Aber gleichzeitig weit genug sein, um nicht jeder Eventualität ein Korsett anzuziehen.

Ich nehme die Regeln ernst, weil Fußball ohne Torpfosten und Seitenlinien eben auch keinen so großen Bock macht. Aber ich versuche nicht zu penibel zu sein und habe eher eine Bolzplatz-Attitüde: Im Zweifelsfall lässt man Fünfe gerade sein. Es geht um Freude, nicht darum es perfekt zu machen!

Regel Set 1: Analog Sein

Idee: Unerreichbarkeit, vollkommen analoger Input.

  • Internet: aus
  • Handy: aus
  • Smartphone: aus
  • Router: aus
  • PC / Laptop: aus
  • Emails, Messenger, Nachrichten: nein
  • Social Media: nein
  • Cross Media: nein
  • Musik: Gekaufte Musik auf Musikträger
    • Auch CDs

Regel Set 2: Offline Sein

Idee: Umständlich erreichbar, digitale Möglichkeiten begrenzt nutzen.

  • Internet: aus
  • Handy: an
  • Smartphone: aus
  • Router: aus
  • PC / Laptop: möglich
    • produktive oder kreative Tätigkeiten, wie z.B. Lesen oder Schreiben
  • Emails, Messenger, Nachrichten: nein
  • Social Media: nein
  • Cross Media: nein
  • Musik: 3 Alben

Reselt Set 3: limitiert Online

Idee: Umständlich erreichbar, Online sein für gezielten Medienkonsum.

  • Internet: an
  • Handy: nach eigenem Ermessen
  • Smartphone: aus
  • Router: an
  • PC / Laptop: möglich
    • Für produktive oder kreative Tätigkeiten, wie z.B. Lesen oder Schreiben
    • Für Medienkonsum (Videos, Serien, Filme)
  • Emails, Messenger, Nachrichten: nein
  • Social Media: nein
  • Cross Media: ja (z.B. Schreiben + Musik oder Task + Podcast)
  • Musik: nach Belieben

Abschließende Worte

Wir leben in einer merkwürdigen Welt, in der Offline Sein etwas Ungewöhnliches, Seltenes und Herausforderndes ist.

Besonders, weil so viel Gold in der langsamen, einfachen, analogen Welt zu finden ist.

Schau doch mal, was du findest!

Aufrichtigst,

Jakob

11 Kommentare

  • Dorothea Spenger

    Lieber Jakob,
    es ist Freitag Abend, 20:30 Uhr. Du wirst diesen Kommentar also hoffentlich nicht vor Montagvormittag lesen. Ich wollte dir erzählen, dass ich über deine Webseite auf offline-sein.de gestoßen bin, prompt alle Artikel gelesen habe und jetzt meinen PC ausschalte werde (bis Montag) und, was noch viel wichtiger ist, auch mein Handy.
    Deine Idee ist mehr als genial und kommt zu einem sehr passenden Zeitpunkt.
    Liebste Grüße
    Doro

    • A

      Hi Doro! Ach, das freut mich ja außerordentlich 🙂 Was hast du denn an deinem Offline-Wochenende erlebt?!

      • Hi Jakob,
        ja, wenn ich das noch so genau wüsste, es gibt ja keine Erinnerungen an dieses Wochenende;-) Ne, Quatsch, aber ich kann dir sagen, dass es mir so eine innere Ruhe gegeben hat, und ich war dadurch auch viel präsenter im Hier und Jetzt. Ich werde das in Zukunft öfters so machen, und die Idee auch weitertragen, denn sie ist großartig.
        Liebe Grüße!

  • Danke für deine Inspiration!
    Am Sonntagmorgen habe ich direkt beschlossen, den Tag ‘Offline’ zu bleiben. Ich beobachtete, wie ich mir erzählte auf allen Kanälen erreichbar sein zu müssen, wie der Drang, mal eben die Welt da draußen zu checken, anfangs immer da war und ich erkannte, wie ‘automatisiert’ ich konsumiere. Autsch! 🙁
    Am Ende des Tages war der schönste Effekt für mich die ZEIT. Ich hatte gefühlt seit Jahren oder gar Jahrzehnten! wieder mal einen richtig langen Tag, mit ganz viel Ruhe und langsamen Schrittes…

    • A

      Herzlichen Dank für dein Feedback, Maika 🙂

      Spannend, dass auch du diese erste Welle von Widerstand erlebt hast, um dahinter ZEIT und Ruhe zu finden …

  • this, not that :))

  • So, I don’t know how accurate the Google translation is, but I enjoyed reading your thoughts. My two favorite pieces:

    <>

    YESSSS 🙂

    And that bit about boredom. I’ve given much thought to this topic when I was running a democratic school – and many parents were scared that their children, given the freedom to choose, might be bored. They were. And it became a vibrant source of exploration and a beautiful way to intra- and interpersonal connections.

    Ah, and one more – long messages on the phone. I noticed. I like 🙂
    And I’m writing a comment on a blog, which I haven’t done in years!
    Very old school 😉

    • A

      Thank you for the feedback, Kasia 🙂

      I can well imagine the kids being excited to learn and explore out of boredom – and that being a good and natural (literally) thing!

      I can’t see what your first favourite piece was. It just shows these symbols “<>“. Would you repost that part?

      • Ah, I tried to put a quote in <> but I guess it read it as coding 🙂

        That is the part I said “YESSSS” to:

        Ich glaube, dass gute Zeit einen Mix aus Absicht und Beweglichkeit benötigt.

        Das heißt: „Ich möchte genau DAS tun!“ + „Ich akzeptiere, dass es anders werden kann“.

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